„Darüber reden - das ist das Wichtigste."

Clemencia Montoya-Harder ist Frauenärztin und Psychotherapeutin. In der Schwangerschaftsberatung von pro familia in Köln berät sie Frauen, die sich rund um die Geburt niedergeschlagen fühlen.

Frau Montoya-Harder, mit welchen Gefühlen und Ängsten kommen die Frauen zu Ihnen in die Beratungsstelle?

Traurigkeit, Stimmungsschwankungen, Antriebsminderung, innere Leere und zwiespältige Gefühle gegenüber ihrem Kind – das sind die Gefühle, mit denen die meisten Frauen zu uns kommen. Oft auch die Angst, keine gute Mutter zu sein, oder auch Ängste um ihr Kind. Viele wollen wissen, ob diese Gefühle normal sind, und haben Scham- und Schuldgefühle, wenn sie darüber sprechen.

Schwangerschaft und Geburt sind Lebensereignisse, die eine große Lebensumstellung für die Frauen und für die Familie bedeuten. Es braucht Zeit, um da hineinzuwachsen. Wir besprechen, ob die gedrückte Stimmung und Ängste in der Schwangerschaft beziehungsweise nach der Geburt entstanden sind. Manchmal rühren sie auch von Problemen in der Partnerschaft oder finanziellen Schwierigkeiten, die schon früher bestanden. Auch Themen aus der eigenen Ursprungsfamilie kommen häufig wieder hoch, wenn Frauen Mütter werden.

Es gibt ja auch den sogenannten Baby Blues. Woher weiß man, ob es sich um die typischen „Heultage“ nach der Geburt oder um eine postpartale Depression handelt?

In den ersten drei bis fünf Tagen nach der Geburt beginnt der Baby Blues mit Gereiztheit, Emotionalität und Stimmungsschwankungen. Diese Symptome verschwinden meistens nach zwei bis drei Tagen von alleine. Wenn diese Symptome sich verstärken und länger als zwei Wochen anhalten, dann kann es sich um eine postnatale Depression handeln.

Die Symptome einer depressiven Verstimmung oder Depression sind unterschiedlich: Bei manchen treten die Symptome schleichend, bei anderen plötzlich auf. Die Symptome können ganz leicht ausgeprägt oder schwerwiegend sein, bis hin zu Suizidgedanken.

Wer Freudlosigkeit, das Gefühl der Leere oder den fehlenden Antrieb länger als zwei Wochen spürt, aber auch körperliche Symptome, wie Kopfschmerzen, Kreislauf- oder Herzprobleme, kann mit einem Selbsttest prüfen, ob eventuell eine postnatale Depression vorliegt. So einen Selbsttest gibt es auf der Website des Vereins Schatten & Licht.

Was raten Sie Frauen, die von einer Depression rund um die Geburt betroffen sind?

Darüber reden, darüber reden, darüber reden. Das ist das Wichtigste. Zu uns kommen Frauen manchmal erst nach Monaten oder sogar einem Jahr. Sie haben vergeblich gehofft, dass die Symptome von alleine verschwinden.

Je früher man sich Hilfe holt, desto besser. Und auch für die Beziehung zum Kind ist es gut, sich früh Hilfe zu holen. Peripartale Depressionen sind in der Regel sehr gut behandelbar.

Ich sage den Frauen in der Beratung auch, wie wichtig es ist, sich Zeit für sich selbst zu nehmen. Sie müssen nicht rund um die Uhr eine Mutter sein. Sich etwas Gutes tun ist wichtig. Bewegung und Ruhephasen sind wichtig. Schaffen Sie sich diese Ruhephasen und lassen Sie sich unterstützen.

Die gesellschaftliche Erwartung ist, dass eine Mutter nicht traurig ist. Viele Frauen, versuchen so lange es geht, ihre schweren Gefühle zu verstecken. Bei den betroffenen Müttern herrscht oft der Eindruck, dass alle anderen Mütter glücklich sind und alles schaffen. Wer über die eigenen Gefühle spricht, hat den wichtigsten Schritt geschafft und gibt auch anderen Müttern die Möglichkeit, sich zu öffnen.

An wen können sich die Betroffenen wenden, um Hilfe zu bekommen?

Aus meinen Beratungsgesprächen und meiner eigenen Tätigkeit als Gynäkologin weiß ich: Viele Frauen trauen sich nicht, beim Besuch der Hebamme oder Frauenärztin auszusprechen, dass es ihnen nicht gut geht. Ich möchte Frauen ermutigen, das zu tun. Auch ein Hausarztbesuch ist ein Weg, um Hilfe zu bekommen. Und was viele Frauen nicht wissen: Die Krankenkassen bezahlen auch ohne Überweisung vier Sitzungen bei einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten.

Wir in den Beratungsstellen helfen mit Gesprächen und wir verstehen uns als Lotsen, damit die Frauen die passende Hilfe erhalten. Wir informieren beispielsweise über Angebote der Frühen Hilfen, die Frauen von der Schwangerschaft bis zum dritten Lebensjahr begleiten. Auch der Verein Schatten & Licht bietet viele Informationen und Hilfen für Betroffene und Angehörige.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Bei milden Symptomen kann es die professionelle Begleitung durch Gespräche sein und die Unterstützung des Partners und der Familie. In unserer Beratungsstelle begleiten wir Frauen auch über längere Zeit. Bei schwereren Symptomen helfen eine Psychotherapeutin oder ein Psychiater. Zur Behandlung kann auch eine medikamentöse Unterstützung gehören. Frauen, die Suizidgedanken haben und sofort Hilfe brauchen, wenden sich am besten an eine psychiatrische Ambulanz.

Welche Unterstützungsangebote helfen Ihrer Erfahrung nach darüber hinaus?

Man braucht Zeit und Ruhe, um in das Elternsein hineinzuwachsen. Heute ist oft die erweiterte Familie nicht mehr in der Nähe, um in der neuen Lebensphase zu helfen. Dafür gibt es professionelle Unterstützung, beispielsweise kann man die Hebamme bitten, länger zu kommen. In einigen Fällen trägt die Krankenkasse die Kosten für eine Haushaltshilfe. Und über die Frühen Hilfen ist es möglich, eine Familienhebamme zu bekommen. Sehr hilfreich sind auch Selbsthilfegruppen, um sich auszutauschen und zu erleben, dass es vielen Frauen ähnlich geht.

Was kann der Partner oder die Partnerin, was können Freunde und Familie tun?

Entlasten und Verständnis für die Situation haben. Es ist wichtig, dass die Frau in ihrer Erkrankung gesehen und nicht verurteilt wird. Und dass sie Hilfe erhält. Denn durch Unterstützung, Therapie und eventuell Medikation ist die Erkrankung gut behandelbar.

Manchmal ist es der betroffenen Frau nicht möglich, selbst einen Termin in einer Beratungsstelle zu machen. Dann ist gut, wenn die Angehörigen diese Aufgabe übernehmen. Es ist auch wichtig, sich selbst Hilfe zu holen. Denn auch für den Partner und die Familie ist die Erkrankung belastend.

Die pro-familia-Beratungsstelle Köln-Zentrum ist bei Juno, dem Kölner Netzwerk für Schwangerschaft und Psyche aktiv. Warum braucht es ein solches Netzwerk?

Solche Netzwerke sind wichtig, um die Versorgung von psychisch belasteten oder kranken Frauen zu verbessern. Die Initiatorin und Mitbegründerin des Netzwerkes, meine Kollegin Gabriele Stöcker, ist durch andere Netzwerke in Berlin, Hamburg und Dresden inspiriert worden, diese Hilfe auch in Köln und Umgebung zu bieten. Damit Frauen zeitnah leichteren Zugang zu den passenden Hilfsangeboten bekommen. Wir merken in der Beratungsstelle, dass wir durch das Netzwerk mehr Anfragen von Betroffenen haben. Und ich hoffe, dass auch durch dieses Gespräch mehr Frauen sich trauen, sich Hilfe zu holen.

Links zu externen Angeboten